Laut Hirnforschern trifft der Mensch über 20.000 Entscheidungen pro Tag. Viele davon geschehen unbewusst und schnell – was gerade im Hinblick auf die eigenen Finanzen hohe Risiken birgt, denn Finanzplanung ist Lebensplanung. CFP®-Professional Claudia Pitterle erklärt, welche Verhaltensmuster zu falschen Entscheidungen führen und wie diese identifiziert und umgangen werden können.
Jeder CFP®-Professional kennt es aus der eigenen Beratungspraxis: Viele Kunden wissen, dass es in ihrer Finanzplanung Handlungsbedarf gibt, aber sie kommen nicht in die Gänge. Oder ihnen ist der Inhalt ihrer bereits bestehenden Produkte nicht klar, weshalb sie auch nicht bewerten können, ob diese zu ihrer persönlichen Situation passen. So werden Finanzplanung und die Absicherung existenzieller Risiken hinausgezögert – über Monate, Jahre und oftmals sogar bis in den Ruhestand, wenn Fragen der Vermögensübertragung an die nächste Generation auf einmal von Bedeutung sind. Kern des Problems ist, dass richtige und wichtige Entscheidungen nicht bewusst getroffen werden. Diese Verhaltensmuster werden kognitive Verzerrungen oder auch Bias genannt und haben einen enormen Einfluss auf das menschliche Entscheidungsverhalten.
Im Folgenden werden anhand einiger Beispiele die häufigsten Bias illustriert, was ein CFP®-Professional konkret dagegen unternehmen kann und wie er damit seinen KundInnen hilft.
Regionale Begrenzung von Anlagen – der „Home Bias“
Der sogenannte „Home Bias“ taucht immer wieder auf: Kunden investieren dabei bevorzugt in heimische Anlagen, kaufen lokale Immobilien und wählen Versicherungsunternehmen aus der Region. Sie vermeiden bewusst eine internationale Streuung, da sie glauben, nur mit dem heimischen Terrain vertraut zu sein und sich dort perfekt auszukennen.
An dieser Stelle ist es für einen CFP®-Professional besonders wichtig, seine Kunden „kapitalmarktfähig“ zu machen. Dafür bespricht er mit den Kunden verschiedene Assetklassen und mögliche daraus resultierende Renditen als auch Risiken. Die Kunden erkennen danach selbst, dass sie aktuell nur sehr limitiert investiert sind und eine weltweite Streuung in alle Anlageklassen für sie die sinnvollere Alternative darstellt. Mögliche regionale Kursrückgänge können dann durch Kursgewinne in anderen Regionen aufgefangen werden.
Angst vor Veränderung – der „Status quo Bias“
Weit verbreitet ist auch der sogenannte „Status quo Bias“: Kunden wissen zwar um die Bedeutung von Finanzplanung, werden aber dennoch nicht aktiv. Dieser Bias führt dazu, dass der aktuelle Status beibehalten wird, obwohl Anpassungen nötig wären. Oft zeigt sich dieser Bias auch daran, dass Kunden bei getätigten Geldanlagen erst dann bereit sind, eine Anlage zu wechseln, wenn diese wenigstens beim Einstandskurs ist.
Der „Status quo Bias“ manifestiert sich auch im Themenkomplex Vollmachten, etwa bei Vorsorgevollmacht, Betreuungs- und Patientenverfügung. So denken verheiratete Kunden oft, dass im Fall der Fälle der Ehepartner alles Notwendige regeln darf. Dabei unterliegen sie einem großen Irrtum: Volljährige Personen dürfen gültige Rechtsgeschäfte nur mit gültiger Vollmacht für andere Personen durchführen. Heißt also: Ehepartner sind also nicht automatisch vertretungsberechtigt. Hier ist der CFP®-Professional gefragt, seine Kunden mit den richtigen Informationen zu versorgen und so zum Handeln zu animieren.
Die Selbstüberschätzung – „Overconfidence“
Auch die sogenannte „Overconfidence“, die Selbstüberschätzung, ist kein unbekanntes Phänomen und tritt besonders häufig bei der Beratung für eine Berufsunfähigkeitsversicherung auf. Kunden argumentieren gegen einen Versicherungsabschluss mit der Fehlannahme, dass ihnen so etwas nicht passieren werde und sie ihren Job bestimmt immer irgendwie ausüben können. Auch hier helfen Zahlen, Daten, Fakten.
Zu beobachten ist der „Overconfidence“ Bias oftmals auch, wenn sich selbstständige Kunden mit der Absicherung gegen Cyber-Risk beschäftigen müssen. Diese noch recht junge Versicherung, die Selbstständige und Unternehmen vor Hackerangriffen und sonstiger Cyberkriminalität schützt, wird aktuell häufig ignoriert. Im Beratungsgespräch argumentieren Kunden damit, dass ihre Firma zu klein und unbedeutend für solcherlei Angriffe sei, der IT-Provider sich doch um die Sicherheit der Systeme kümmere oder der Server nur laufe, wenn man selbst im Büro sei. Dass das Risiko eines Systemausfalls oder Hackerangriffes in den vergangenen Jahren jedoch enorm gestiegen ist und im Fall der Fälle auch enorme Kosten verursachen kann, wird schlichtweg durch die Fehleinschätzungen des Kunden ignoriert.
Systematisch zu besseren Entscheidungen kommen
Die Anzahl der Bias ist fast unerschöpflich. Deshalb ist es für einen CFP®-Professional wichtig, sich im Beratungsgespräch bewusst zu werden, warum sich Kunden verhalten, wie sie sich verhalten – und wie sie dann am besten darauf reagieren. Die Beratungsgrundsätze eines CFP®-Professional können helfen, den Kunden bessere Entscheidungen treffen zu lassen. Den Startpunkt bildet dabei die gründliche Analyse der Kundensituation, d. h. die vollständige Erfassung aller Vermögensgegenstände und Verbindlichkeiten, Erträge und Aufwände, Einnahmen und Ausgaben, notwendiger persönlicher Informationen und die Abbildung des persönlichen Zielsystems des Kunden.
Durch eine Verbindung des persönlichen Zielsystems des Kunden mit den (Wechsel-)Wirkungen der einzelnen analysierten obigen Daten ist schon ein großer Schritt getan, um Widersprüche und Lücken in der Planung festzustellen. Sollten Bias wichtige Entscheidungen verzerrt haben, zeigt sich das an nun auftretenden Widersprüchen. Diese sollten dann keinesfalls beiseite gewischt, sondern gründlich hinterfragt und aufgelöst werden. Hier zeigt sich auch der Wert eines CFP®-Professionals für seine Kunden: Nur mit einer ganzheitlichen, zielgerichteten und bewussten Finanzplanung können sie die richtigen Entscheidungen für sich treffen und unbeschwert ihr Leben genießen.
Quellen:
https://www.wiwo.de/erfolg/trends/zeitdruck-im-job-20-000-blitzentscheidungen-pro-tag/5445178.html)
https://www.gabler-banklexikon.de/definition/home-bias-99665
Ist-Zustand-Verzerrung (status quo bias)
https://wirtschaftslexikon.gabler.de/definition/overconfidence-53937
https://www.gdv.de/de/themen/schwerpunkte/cybersecurity
https://www.fpsb.de/fuer-verbraucher/financial-planning/beratungsgrundsaetze.html