Endlich ist der Ruhestand erreicht. Viel Hirnschmalz und Zeit wurden verwendet, ausreichend Vermögen zu bilden, um im Alter möglichst ohne finanzielle Sorgen leben zu können. Doch was viele vergessen, ist die Auszahlungsphase als zweiter wichtiger Baustein. Rechtzeitig vor, spätestens aber mit Rentenbeginn müssen die Weichen neu gestellt werden für die Zeit, in der entweder in Form der Rente oder Pension weniger Geld hereinkommt, wie bei Angestellten und Beamten, oder womöglich gar keines mehr, wie es bei vielen Selbstständigen der Fall ist.
Grundsätzlich stehen zur Abschöpfung des Vermögens drei Strategien zur Auswahl, die allerdings mit höchst unterschiedlichen Renditen aufwarten. In unserer dreiteiligen Serie stellen wir die aus unserer Sicht gängigsten Strategien vor. Der dritte Teil beschäftigt sich mit der sogenannten Etappenstrategie.
Dabei legt man, wie es der Name schon vermuten lässt, das Vermögen in verschiedenen Zeitspannen an und teilt es zugleich in einen Verbrauchs- und in einen Wachstumsteil.
Das Ganze funktioniert so: Die Summe, die man – basierend auf einem soliden Ausgabenbudget (Liquiditätsplanung) – für die nächsten zwei Jahre voraussichtlich braucht, legt man aufs renditearme, aber risikolose Tages- oder Festgeldkonto. Die Summe für die Jahre drei bis neun kann man stark sicherheitsorientiert am Kapitalmarkt anlegen, zum Beispiel in erstklassigen Rentenpapieren mit gestaffelten Verfallsterminen oder auch in Aktienfonds; damit die Rendite nicht allzu sehr schwankt, sollte der Aktienanteil allerdings nicht mehr als 30 Prozent ausmachen. Mit diesem Verbrauchsteil stellt man für die nächsten zehn Jahre die notwendigen Entnahmen sicher, die sowohl aus Erträgen (Zinsen, Dividenden) als auch aus Anteilsverkäufen stammen können. Tages- und Festgeld sind im Moment zwar, was Zinsen angeht, ziemliche Spaßbremsen, aber Dividenden können sich zu einer hübschen Summe addieren. Rein finanztechnisch gesehen, ist der Verbrauchsteil also eine selbst gebastelte Rente auf Zeit, denn er wird über die Laufzeit der ersten beiden Etappen, also über die ersten zehn Jahre hinweg, verzehrt.
Für das verbleibende Vermögen, das erst in zehn Jahren gebraucht wird, also den Wachstumsteil, kann man, um eine bessere Rendite zu erzielen, eine riskantere Anlagestrategie wählen, da zwischenzeitliche Rückschläge ausgesessen werden können. Eine weitverbreitete Faustformel für die Aktienquote lautet: 100 minus Lebensalter. Das bedeutet, ein Sechzigjähriger sollte mit maximal 40 Prozent, ein Siebzigjähriger mit höchstens 30 Prozent seines Vermögens in Aktien investieren. Dies gilt jedoch hauptsächlich dann, wenn das Vermögenskonzept hinsichtlich Umfang und Zeit eher »auf Kante genäht«, also äußerst knapp kalkuliert ist, da man sich dann weniger Schwankungen »leisten« kann. Zudem ist eine pauschale Annahme, die nur drei Parameter – in diesem Fall Alter, Aktien- und Rentenanteil – berücksichtigt, naturgemäß nicht individuell.
In der Etappenstrategie kann die Aktienquote für die letzten Jahre sogar höher sein, da man einen längeren Anlagehorizont hat. Und je länger die beiden ersten Etappen sind, wodurch die dritte automatisch in weiterer Ferne liegt, umso riskanter und renditeträchtiger, also aktienlastiger, kann die Investition der dritten Etappe sein. Der Clou an dieser Strategie ist nämlich, dass man von hinten nach vorn rouliert: Wenn die ersten zwei Jahre – oder wie viele Jahre auch immer man für die erste Etappe gewählt hat – vorüber sind, wird Vermögen aus der zweiten oder gegebenenfalls dritten Etappe nach vorn gezogen, und das Spiel beginnt von Neuem.
Die hier als Beispiel genannten Etappenzeiträume kann ein jeder je nach Risikobereitschaft beziehungsweise Sicherheitsbedürfnis variieren, was diese Strategie darüber hinaus so interessant macht. Und nicht nur die Länge der Zeiträume, auch die Höhe des Verbrauchs- und des Wachstumsteils kann individuell angepasst werden. Wer zum Beispiel seinen Fokus auf die Höhe der monatlichen Entnahmen richtet, kann einen höheren Verbrauchsanteil anstreben. Wenn hingegen der Kapitalerhalt im Vordergrund steht, dann entscheidet man sich für einen höheren Wachstumsteil.
Und noch in einem weiteren, ganz wesentlichen Punkt bietet die Etappenstrategie eine hohe Flexibilität: Der Anleger kann die Entnahmen von Monat zu Monat variieren, da er völlig unabhängig von irgendwelchen Ausschüttungsterminen oder Überweisungen einer Rentenversicherung ist, ob gesetzlich oder privat, und sie so seinen Lebenshaltungskosten anpassen. Und die schwanken bei Ruheständlern in der Regel stärker als bei Berufstätigen, sei es – im wünschenswerten Fall –, dass man bei unverhofft schönem Wetter die Freiheit hat, einen spontanen Kurzurlaub zu machen, oder sei es, dass man sich ein höhenverstellbares Seniorenbett anschaffen will, weil es allmählich doch sehr mühsam wird, sich vom recht bodennahen Bett hochzuhieven.
Weitere Vorteile der Etappenstrategie:
– Vermögensstock bleibt erhalten,
– die Steuerbelastung des Wachstumsteils kann optimiert werden,
– flexible Gestaltung während der gesamten »Laufzeit«,
– vergleichsweise geringer Kapitaleinsatz erforderlich,
– verbleibendes Vermögen geht auf die Erben über, falls der Anleger vor Ablauf der kalkulierten Lebenszeit stirbt, während es bei einer Rentenversicherung ohne Hinterbliebenenabsicherung im Topf der Versicherungsgesellschaft landet.
Nachteile der Etappenstrategie:
– die Planung ist anspruchsvoll,
– ein relativ hohes Finanzwissen ist erforderlich, weshalb es sinnvoll sein kann, bei der Umsetzung die Hilfe eines Finanzplaners in Anspruch zu nehmen,
– die Anlagen müssen aktiv überwacht werden,
– der Ertrag unterliegt der Abgeltungsteuer.
Wie rechnet sich das Ganze? Die Rendite des Wachstumsteils gleicht den »Schwund« des Verbrauchsteils – zumindest teilweise – aus. Sind Wachstums- und Verbrauchsteil gleich groß, müsste Ersterer 7,2 Prozent Rendite bringen. Dann würde er sich nach zehn Jahren verdoppeln und könnte den Verbrauchsteil wieder vollständig auffüllen. Wie bereits mehrmals erwähnt: Mit einer Investition am Aktienmarkt ist eine Rendite in dieser Größenordnung durchaus realistisch.
Die Wirksamkeit der Etappenstrategie soll an einem konkreten Fallbeispiel dargestellt werden. Thomas ist selbstständiger Schreinermeister, seine Frau Eva ist gelernte Buchhalterin. Die beiden sind 63 Jahre alt und haben zwei Kinder, die aber längst erwachsen sind und auf eigenen Beinen stehen. Die beiden leben in einem schuldenfreien Eigenheim in Görlitz und haben sich im Lauf ihres Lebens ein Vermögen von rund einer Million Euro angespart, da ihnen klar war, dass sie im Alter hauptsächlich von ihren Reserven werden leben müssen. Eva wird, wenn sie mit 66 ihr Renteneintrittsalter erreicht hat, eine gesetzliche Rente von monatlich 980 Euro beziehen. Thomas hat, auch nachdem er sich selbstständig gemacht hatte, weiterhin in die gesetzliche Rentenversicherung eingezahlt, allerdings nur immer den Mindestbetrag, weshalb er lediglich 500 Euro bekommen wird.
Das wichtigste Ziel der beiden ist, ihren Lebensunterhalt aus dem Vermögen decken zu können. Außerdem möchten sie sich ein Wohnmobil anschaffen, um, wann immer ihnen danach ist, zu einem Wanderurlaub aufbrechen zu können, denn Wandern ist das große Hobby der beiden. Thomas und Eva gehen nach einer professionellen Finanzplanung davon aus, dass ihnen ab Rentenbeginn monatlich 2.700 Euro »fehlen« werden. Diese 2.700 Euro müssen sie aus ihrem liquiden Vermögen in Höhe von 1.060.000 Euro abschöpfen, das sie allerdings ja auch zu ebendiesem Zweck, zur finanziellen Sicherung des Ruhestands, angespart haben. Auf Basis der Grunddaten von Thomas und Eva sind im Folgenden drei Szenarien mit unterschiedlichen Renditen im Verbrauchs- und im Wachstumsteil dargestellt, die zeigen, wie sich die Rendite auf die Höhe der monatlichen Entnahmen auswirkt.
Sie heißen »Normalfall«, den »besten« und den »schlechtesten Fall«. Das fiktive Ziel ist dabei, dass der Wachstumsanteil sich am Ende der zehnjährigen Anlageperiode verdoppelt und somit die Höhe des ursprünglichen Gesamtkapitals – 1.060.000 Euro – erreicht hat. Denn so kann das Spiel mit genau denselben Eckdaten nach zehn Jahren wieder von vorn beginnen. Thomas und Eva könnten aber auch überlegen, ob sie die Etappenstrategie bereits jetzt beginnen und den Zeitraum der ersten beiden Etappen von 10 auf 13 Jahre verlängern, was die Strategie noch widerstandsfähiger machen würde.
Bei einem Anfangskapital von 1.060.000 Euro in drei Jahren kämen folgende »Fälle« in Betracht (die Renditen sind Durchschnittsrenditen über den jeweiligen Anlagezeitraum, hier ausnahmsweise nach Abgeltungsteuer und Gebühren, aber vor Inflation berechnet; die Ausgangssummen in drei Jahren sind gerundet):
Normalfall:
Rendite des Verbrauchsteils: drei Prozent pro Jahr
Rendite des Wachstumsteils: sechs Prozent pro Jahr
Anteil des Verbrauchsteils an Gesamtstrategie: 44 Prozent = 470.000 Euro
Anteil des Wachstumsteils an Gesamtstrategie: 56 Prozent = 590.000 Euro
Monatliche Entnahme aus Verbrauchsteil bei Rentenbeginn: 4.518 Euro
Bester Fall:
Rendite des Verbrauchsteils: drei Prozent pro Jahr
Rendite des Wachstumsteils: acht Prozent pro Jahr
Anteil des Verbrauchsteils an Gesamtstrategie: 54 Prozent = 575.000 Euro
Anteil des Wachstumsteils an Gesamtstrategie: 46 Prozent = 485.000 Euro
Monatliche Entnahme aus Verbrauchsteil bei Rentenbeginn: 5.527 Euro
Schlechtester Fall:
Rendite des Verbrauchsteils: zwei Prozent pro Jahr
Rendite des Wachstumsteils: vier Prozent pro Jahr
Anteil des Verbrauchsteils an Gesamtstrategie: 32 Prozent = 340.000 Euro
Anteil des Wachstumsteils an Gesamtstrategie: 68 Prozent = 720.000 Euro
Monatliche Entnahme aus Verbrauchsteil bei Rentenbeginn: 3.120 Euro
Fazit:
Wenn sich Thomas und Eva für die Etappenstrategie entscheiden, können sie sich ruhigen Gewissens ihren Traum von einem Wohnmobil erfüllen, denn selbst im »schlechtesten Fall« läge der Entnahmebetrag noch über den benötigten 2.700 Euro.
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