Jeder von uns begegnet täglich Risiken, manchmal bewusst, manchmal unbewusst: Wenn wir uns zwischen den Alternativen Auto, Flugzeug oder Zug als Verkehrsmittel entscheiden, hat das auch etwas mit Risiko zu tun. Natürlich denke ich zuerst an die Kosten, den Zeitaufwand und zunehmend an die Auswirkungen aufs Klima, wenn ich abwäge, wie ich anlässlich meines nächsten Italienurlaubs von Berlin nach Ligurien komme. Diese Alternativen unterschieden sich aber auch erheblich hinsichtlich der Gefahr bei der Reise zu verunglücken oder nachhaltig verletzt zu werden – die Bahn ist hier etwa 100 Mal sicherer als das Auto. Dieses Alltagsbeispiel verdeutlich bereits, dass wir Risiken häufig gar nicht bewusst wahrnehmen und sie auch selten in unsere Entscheidungen einbeziehen. In manchen Fällen kann das fatale Folgen haben.
Ein größeres Bewusstsein für Risiken gibt es im Bereich des Investierens. Negative Erfahrungen, Presseberichte und regulatorische Vorgaben haben dazu geführt, dass die Risikominimierung oder Risikovermeidung tatsächlich oberstes Ziel vieler Anleger ist. Dabei fehlt vielen ein grundlegendes Verständnis des Konzepts „Risiko“ und die eindimensionale Optimierung auf die Vermeidung möglichst vieler Risiken führt ebenso zu schlechten Ergebnissen für Anleger. Häufig wollen diese Anleger nämlich auf keinen Fall „Geld verlieren“ und setzen dieses mit einer negativen Rendite über kurze Zeiträume gleich.
In diesem und den folgenden zwei Artikeln, möchte ich deshalb ein differenzierteres Verständnis des Risikobegriffs schaffen, über Missverständnisse aufklären und den Weg hin zu einem besseren Umgang mit Risiko weisen.
In der Wissenschaft erfolgt die Auseinandersetzung mit dem Risikobegriff meist mit einer statistischen Brille. Meteorologen quantifizieren ein Trockenheitsrisiko als Wahrscheinlichkeit, dass die Regenmenge in einem Zeitraum unter einem gewissen Schwellwert liegt. Bei der Ermittlung dieser Wahrscheinlichkeit schreiben sie entweder einfach Beobachtungen aus der Vergangenheit fort, oder sie greifen auf Modelle zurück. Diese Modelle basieren wieder auf Beobachtungen der Vergangenheit, versuchen aber vorherzusagen und zu berücksichtigen, welche Auswirkungen die Veränderung von entscheidenden Parametern haben werden. Wärmere Luft kann etwa mehr Feuchtigkeit speichern, weshalb eine höhere globale Durchschnittstemperatur zu selteneren, aber heftigeren Regenfällen führen dürfte. Modelle können nun versuchen, diese Veränderung der Rahmenbedingungen mitabzubilden.
Eine häufige genutzte Möglichkeit solche Häufigkeiten grafisch Aufzubereiten sind Verteilungsdiagramme. Gruppiert man z.B. die Jahresrendite eines Standardindexes für amerikanische Aktien (S&P500) in 20 Gruppen, ergibt sich folgendes Diagramm:
Eigentlich immer ergibt sich dabei das Bild, das ein mittlerer Wert besonders häufig auftritt und weit davon entfernt liegende, extreme Beobachtungen sehr selten sind. In diesem Fall hat es in 12 Kalenderjahren Renditen gegeben, welche zwischen 15 und 20% lagen. Die historisch geringste Rendite lag bei -43% und zwar im Jahr 1931. Renditen zwischen 49 und 54% sind immerhin zwei Mal aufgetreten, nämlich 1954 (53%) und 1933 (54%).
Häufig besteht keine Gelegenheit, die Verteilung eines Phänomens grafisch zu zeigen oder man will die Information über die Verteilung besonders verdichten. In diesen Fällen greift man auf die Angabe des arithmetischen Mittels und der Standardabweichung zurück. Beim arithmetischen Mittel handelt es sich um den „einfachen Durchschnitt“ der Jahresrenditen, während die Standardabweichung beschreibt, wie sehr die tatsächlichen Renditen um diesen Durchschnitt streuen: Im Beispiel unseres Aktienindexes liegt das Mittel bei 10,46% während die Standardabweichung bei 18,61 beträgt. Eine Normalverteilung vorausgesetzt, sollten die Renditen einzelner Jahre somit in ca. 68% der Jahre zwischen -8,15% (10,46% – 18,61%) und 29,07% (10,46% + 18,61%) liegen.
Nun ist es im Finanzkontext allgemein üblich, diese beiden Verteilungskennzahlen für die Rendite eines Investments zu berechnen und dann mit den Worten „Rendite“ und „Risiko“ gleichzusetzen. Die Frage nach dem Risiko wird also regelmäßig mit „18,61%“ beantwortet – aber, hilft Ihnen das als Investor?
Wie häufig, muss die Antworten lauten: Kommt darauf an. So ließe sich der Grad der Unsicherheit über die tatsächliche Rendite eines Jahres nämlich auch noch mit der Spannbreite zwischen den beiden extremsten Werten, dem am häufigsten auftretenden Wert oder z.B. der Wahrscheinlichkeit eine Rendite von weniger -5% zu erhalten, ausdrücken. Manche Anleger sind zudem auch daran interessiert, wie groß der historisch größter Wertverfall ausgefallen ist. Es zeigt sich also, dass selbst eine rein statistische Betrachtung des Themas „Risiko“ vielfältig und komplex ist, wodurch sich zwingend ein ordentliches Risikomanagement ergibt. Wirklich entscheidend ist aber ein Aspekt jenseits der reinen Erfassung und Quantifizierung durch statistische Risikomaße. Es kommt nämlich darauf an, dass Art und Ausmaß des eingegangenen Risikos für den Investor geeignet sind. Geht es beispielsweise um Liquiditätsrisiko (mit damit verbundener Liquiditätsprämie, also Überrendite), ist es manchen Investoren möglich, auf eine ständige Verfügbarkeit bei einem Teil Ihres Vermögens verzichten zu können. Wichtig ist aber natürlich, dieses Risiko bewusst einzugehen, und zwar nur in dem Ausmaß wie keine Zahlungsunfähigkeit riskiert wird.
In diesem Zusammenhang ist es auch wichtig, über die Begriffe Risikobereitschaft und Risikotragfähigkeit zu sprechen. Erstere beschreibt die psychologische Disposition Risiken einzugehen. Hilfreich für die Entwicklung einer gesunden Risikobereitschaft sind dabei ein genaues Verständnis des Risikos sowie der damit verbundenen Ertragschancen. Bei der Risikotragfähigkeit handelt es sich hingegen um die Fähigkeit Risiko einzugehen, die sich aus den individuellen finanziellen Gegebenheiten eines Inverstors ergibt. Sie wird von der Vermögenssituation, der Einkommenssituation, der Höhe und Verbindlichkeit von Zahlungsverpflichtungen heute und in der Zukunft bestimmt. Gerade bei der Ermittlung der Risikotragfähigkeit kann ein Finanzplaner behilflich sein. Im Anschluss kann dann auch einfacher eine Vermögensstrukturierung stattfinden, welche ein professionelles Risikomanagement berücksichtigt.