Die Entwicklung der Leitzinsen ist ohne Frage einer der wichtigsten Faktoren für Kapitalanleger. Denn deren Höhe hat eine enorme Bedeutung und einen tiefgreifenden Einfluss auf die Bewertung von Vermögenswerten und die Wirtschaft im Allgemeinen. Je höher die Zinsen sind, desto weniger attraktiv werden andere Anlageklassen. Sind sie dagegen niedrig, so wie es zum Beispiel in der Phase der extremen Niedrigzinsen und teilweise sogar Negativzinsen zwischen 2016 und 2022 war, dann macht dies alle anderen Anlageklassen deutlich attraktiver. Sie sind also so etwas wie das Gravitationszentrum für alle anderen Anlagen, aber auch für die Wirtschaft selbst.
Zuletzt, etwa seit 2022, kam es bei den Zinsen zu einer Berg- und Talfahrt. Denn angesichts der stark angestiegenen Inflation im Jahr 2022 mussten die Notenbanken zunächst rasch gegensteuern. Höhere Zinsen bremsen über eine Verteuerung der Kredite die Wirtschaft und steuern damit auch der Inflation entgegen. Nachdem sich die Inflation verringerte, konnte die EZB ab Mitte 2024 damit beginnen, die Zinsen wieder zu senken. Das tat sie bis Mitte 2025 achtmal. Nicht ganz so viele Zinssenkungen unternahm die US-Notenbank Fed. Sie hatte zwischen Ende 2024 und Mitte 2025 eine längere Zinspause eingelegt. Der Grund: Die Unsicherheit bezüglich der Auswirkungen der von US-Präsident Trump angedrohten Zölle auf die Preisentwicklung in den USA.
Zinssenkungen: Bankeinlagen verlieren an Attraktivität
Doch ganz konkret stellt sich nun die Frage, was niedrigere Zinsen in der Eurozone für die Anleger bedeuten. Zunächst einmal verlieren Bankeinlagen deutlich an Attraktivität. Brachte Tagesgeld während der Phase höherer Zinsen noch über vier Prozent, so liegen die meisten guten Angebote im Juli 2025 nur noch bei rund zwei bis 2,5 Prozent, i.d.R. jedoch deutlich unter 2 Prozent. Angesichts einer Inflationsrate von rund zwei Prozent bedeutet das, dass Anleger mit dieser Verzinsung bestenfalls noch einen Inflationsausgleich bekommen, aber keinen oder nur einen sehr geringen darüber hinaus gehenden Ertrag. Um in einem Umfeld rückläufiger oder niedriger Zinsen dennoch eine attraktive Verzinsung zu bekommen, müssen sich Anleger also wieder verstärkt andere Anlagen ansehen.
So bietet eine zehnjährige Bundesanleihe Mitte Juli eine Rendite von knapp 2,7 Prozent. Das heißt, hier bekommen Anleger diesen Ertrag für die kommenden zehn Jahre. Wer bereit ist, auch eine niedrigere Kreditwürdigkeit in Kauf zu nehmen, kann zum Beispiel mit Unternehmensanleihen aus dem Investment-Grade-Bereich, also mit besserer Bonität, auch in einem Umfeld sinkender Zinsen noch einen attraktiven Ertrag erwirtschaften. Allerdings müssen Anleger bei Anleihen das Zinsänderungsrisiko berücksichtigen. Steigen die Zinsen, dann weisen festverzinsliche Wertpapiere mit langer Laufzeit stärkere Kursverluste auf, als solche Papiere deren Fälligkeit nicht so weit in der Zukunft liegt. Sinken die Zinsen dagegen weiter, dann bringen lang laufende Anleihen tendenziell höhere Kursgewinne.
Aktieninvestments bevorzugen
Zugleich gewinnen in einem Umfeld sinkender oder niedriger Zinsen Aktieninvestments klar an Attraktivität. Aktien bergen in aller Regel zwar das Risiko kurzfristig höherer Kursschwankungen, sie bieten aber langfristig mit die attraktivsten Renditen am Kapitalmarkt. Steigen die Zinsen jedoch, dann steigen zum einen auch die Finanzierungskosten der Unternehmen, was vor allem hoch verschuldete Firmen besonders trifft. Zum anderen werden künftige Cashflows mit dem jeweiligen Marktzins abdiskontiert. Bei einem hohen Zins werden die in der Zukunft fließenden Cashflows niedriger bewertet.
Bei sinkenden oder niedrigen Zinsen ist es genau umgekehrt. Die Finanzierungskosten sinken und die künftigen Cashflows gewinnen an Wert. Aber auch Dividendenwerte, bei denen die Dividendenrendite deutlich über den Zinsen liegt, werden dann attraktiver. Allerdings gibt es auch Anlageklassen, die gar keine laufenden Erträge liefern: allen voran Gold, aber auch Silber oder der Bitcoin. Sie werden umso unattraktiver, je höher der reale Zinssatz, also die Verzinsung abzüglich Inflation, ist. Mitte Juli 2025 liegt der Hauptrefinanzierungssatz der EZB bei 2,15 Prozent, die Inflationsrate bei rund zwei Prozent. Damit liegt der Realzins nahe null – was wiederum die Attraktivität von Anlagen, die keine laufenden Erträge abwerfen, steigert.
Niedrige Zinsen: Gut für den Immobilienmarkt
Und schließlich haben die Zinsen auch erheblichen Einfluss auf den Immobilienmarkt. Sinken die Zinsen, dann wird die Kreditaufnahme günstiger. Das gilt auch für die Finanzierung von Immobilien. So litt der Immobilienmarkt zunächst stark unter den im Jahr 2022 stark gestiegenen Zinsen. Der Zins für ein zehnjähriges Baudarlehn zum Beispiel kletterte im Jahr 2022 von einem auf über vier Prozent in der Spitze. Zuletzt hat er sich wieder etwas zurückgebildet – auf rund 3,5 Prozent. Das ist zwar immer noch hoch, dennoch sollten günstigere Finanzierungen tendenziell die Nachfrage nach Bauvorhaben und Immobilienkäufen anschieben. Das heißt, niedrigere Zinsen sind ein gutes Zeichen für den Immobilienmarkt.
Insgesamt bedeutet das, dass Anleger stets bei ihren Investitionen auch einen Blick auf die Zinsentwicklung haben sollten. Und damit letztlich auf die Inflation. Denn die wesentliche Aufgabe der EZB ist es, für Preisstabilität im Euroraum zu sorgen. Ist diese aufgrund einer stark ansteigenden Teuerung gefährdet, muss sie die Zinsen erhöhen. Und das führt zu den skizzierten Konsequenzen bei den einzelnen Anlageklassen. Sinken die Zinsen dagegen, dann sind Risikoanlagen tendenziell interessanter. Mitte 2025 jedenfalls befindet sich die EZB noch im Zinssenkungszyklus. Dies ist für Aktien, aber auch für lang laufende Anleihen guter Bonität zumindest kein schlechtes Umfeld.




